Am 31.10. 2009 in Freiburg.
Am ersten Tag 5 und am zweiten Tag 10 Besucher in Freiburg. Heute kamen 80. Das Kino ist halb voll. Bin sehr frustriert. Ich kann es nicht akzeptieren, dass mein Herzblut und Schweiß von zwei Jahren Arbeit so endet. Die Städte sind jeweils andere, die Fragen ähneln sich…
Am 01.11. 2009 in München
Die Bahnstrecke von Freiburg nach München ist recht bescheuert. Ich kam gestern von Frankfurt nach Freiburg. Ich fahre wieder in Richtung Frankfurt, bis Mannheim kurz vor Frankfurt, um nach München runterzukommen. Die schnellste Verbindung dauert 4 halb Stunden. Dazu noch muss ich den Zug um 7:49 nehmen, weil ich gegen Mittag mit Siemin, der Tochter von Armin und Youngsook verabredet habe. Ich freue mich riesig, sie kennenzulernen. Obwohl ich sie vorher nie gesehen hatte, ist sie mir doch sehr vertraut, weil ich schon so viel von ihr gehört habe. Siemin ist wirklich sehr nett. Sie hat während des Films geweint, weil sie ihre Eltern sehr vermisst hat.
Tagsüber 150 Besucher beim Asia Filmfestival, abends 39 Besucher im Atelier. Bei jeder Vorstellung war das Kino halb voll. Es ist nicht schön, seinen Film in einem halb leerem Kino zu zeigen. Komisch, egal wie hoch die Besucherzahl ist, es ist immer halb voll… Der treue Henning hat 8 Freunde ins Kino geschleppt. mit ihm waren es dann 9, von insgesamt 39 Besuchern. Sonst wäre es ein sehr trauriger Abend gewesen…
Am 02.11. 2009 nach Karlsruhe
Auf der halben Strecke zwischen Ulm und Karlsruhe, zwischen Gingen und Süßen bleiben wir stehen. Es soll einen “Personenunfall” passiert sein. Ich denke sofort an einen Selbstmord, was sich leider bewahrheitet. Die weitere Fahrt wurde verschoben auf unbekannte Zeit.
Mein Magen knurrt. Ich bedaure es sehr, heute morgen Reste meines Essens weggeschmissen zu haben. Weil niemand weiß, wann der Zug wieder fahren wird, habe ich um so größeren Hunger. Hätte ich doch wenigstens die Reiskuchen mitgenommen, aber ich wollte sie für Henning zurücklassen. Ausserdem wollten meine koreanischen Bekannten in Karlsruhe extra für mich meine Lieblingsnudelsuppe kochen. Ich habe mich den ganzen Tag so sehr auf die Nudelsuppe gefreut, dass ich bewusst nichts zu Mittag gegessen habe. Wenn sie sich meinetwegen solche Mühe machen, sollte ich es auch mit großem Appetit genießen. So wollte ich ein wenig Hunger mitbringen. Ich wühle in meiner Tasche rum und finde einen Apfel und ein paar kleine Schokolädchen vom Freiburger Hotel. Ich esse sie alle, aber habe immer noch Hunger.
Durch die Ansage erfahre ich, dass es doch ein Bistro im Zug gibt. Weil ich kein Zeichen von Gabel und Messer sah, dachte ich, hier gibt es nix zu beißen. Ich esse kalten Sandwich und denke dabei an die warme Nudelsuppe. Aber nun wäre ich eigentlich schon bei meinen Bekannten in Karlsruhe, wenn sich die lebensmüde Frau nicht auf die Schienen gelegt hätte…
Ich höre, daß sie schon auf den Schienen lag, als der Zug herangerast kam. Sie reagierte nicht auf das Hupen des verzweifelten Zugführers, aber sie bewegte ihrem Kopf. So wußte man, dass es ihre Wille war zu sterben. Sie wollte, dass der Zug über sie fährt, erzählt das Zugpersonal und fügt bei, dass er eigentlich nicht so konkret werden wollte. Die Passagiere haben alle großes Mitleid mit dem Lokführer, der damit auch einen Schaden für sein ganzes Leben abgekriegt hat. Und wir sind wütend auf die unbekannte Tote, die uns allen Ankommen verhindert und einen unbeteiligten Menschen traumatisiert hat. Ich alarmiere meine koreanischen Freunde und den Kinoleiter über den Unfall und meine etwaige Verspätung.
Ich versuche mich in die Frau zu versetzen: ich liege schon lange auf den Schienen und warte auf den Zug, ich habe Angst, die Schienen vibrieren und ich höre den Zug. Der Lokführer hat mich gesehen und hupt. Ich schaue auf ihn hoch und lege meinen Kopf entschlossen wieder auf den Boden. So gebe ich ihm das Zeichen, dass es gewollt ist. Ich beiße die Zähne zusammen und schließe die Augen. Es wird immer lauter. Der Lokführer bremst, der Zug wird langsamer, aber es ist alles zu spät.
Wie sehr muss die Frau verzweifelt gewesen sein. War Ihr Leben so wenig lebenswert?
Komme gut in den Himmel und finde dort deinen Frieden. Gott segne dich.
Der Lokführer hatte keine Notbremse gezogen. So merkten wir Passagiere von dem Unfall gar nichts, ausser dass der Zug anhielt. Wenn er die Notbremse gezogen hätte, hätte es vielleicht mehr Schaden gegeben. Im Zug sind viele Kinder und ältere Menschen unterwegs…
Der neue Lokführer ist gekommen. Nach 125 Minuten können wir weiter fahren. Weil wir während der ganzen Panne hervorragend informiert wurden, ist niemand wirklich sauer. Ich habe es gelernt, Beteiligte rechtzeitig zu informieren. Damit kann man eine Menge Ärger und negative Energie sparen.
In Schauburg, Karlsruhe
Das Kino ist sehr groß, pompös und edel traditionell. Dafür sind die Mitarbeiter sehr jung. Dementsprechend wenig Respekt legen sie gegenüber der Regisseurin an den Tag. Während der Film läuft, esse ich Gim-Bab, was meine Karlsruher Bekannte für mich statt Nudelsuppe gemacht und mitgebracht hat: herzzerreißende Szenen spielen sich immer wieder während der Kinotour ab.
Die junge hübsche Blondine an der Theke will freundlich sein und sagt, sie sei sehr gespannt und freue sich auf meinen Film. Sie möge nämlich japanische Filme sehr. Ich will die Nummer mit japanischen Filmen durchgehen lassen. Aber sie kommt noch zu mir und zeigt noch ihre Halskette mit japanischer Münze, um ihre Sympathie für Japan, also mich zu demonstrieren. Da musste ich ihr sagen, ich komme nicht aus Japan, sondern aus Südkorea. Sie lächelt verlegen und sagt, “Ja, aber aus der gleichen..” Ich sage, “Ja, wir kommen alle aus der selben Ecke.”
Es kamen dann relativ viele Koreaner mit ihren deutschen Ehepartnern. Ich wußte gar nicht, dass es so viele dieser Mischehe gibt. Meine Schicksalsgenossen… vielleicht als Publikum aber doch zu wenig, um den Film zu einem Erfolg im Kino werden zu lassen.
Ich mache doch keinen Film nur für mich selbst. Für mich ist ein Film fertig, erst wenn er seinen Zuschauer im Kino erreicht. Es muss was geschehen, damit mehr Leute sich den Film anschauen.
Ich weiß aber nicht, was…
Am 03.11. in Stuttgart
Viele meiner Landsleute haben sich weiten Weg gemacht, um sich den Film anzuschauen. Sie sind sehr angerührt. Sie waren sehr lange als Minderheit in Deutschland unsichtbar. Ich habe sehr gehofft, dass sie sich selbst mitten in der Gesellschaft erleben und wenn es auch nur im Kino sein sollte. Ich glaube, dass die Kluft zwischen der koreanischen “Kolonie” und der deutschen Gesellschaft viel tiefer ist, als ich angenommen habe. Die oft zitierten Parallelgesellschaften existieren tatsächlich…